Ruderblatt

Mit dem Ruderblatt rudert man nicht, die Bezeichnung stammt aus wirklich sehr frühen Zeiten. Das Ruderblatt dient ausschließlich zur Steuerung der Richtung, soweit so gut.

Kann man mit so einem ruder das lange und schwere Schiff steuern? Eine gute und durchaus interessante Frage – jedenfalls klappte dies bisher ganz gut. Aber warum ist dies so? Der Reihe nach. Das Ruderblatt bei Tjalken ist oberhalb der Wasserlinie – wohl aus optischen Gründen – sehr schlank gehalten. Im Unterwasserbereich befindet sich eine Verlängerung von circa 70 cm, so daß die wasserbenetzte Fläche so rund 1,50m beträgt. Die maximale Tielfe ist natürlich die Unterkante des Schiffsrumpfes, ansonsten wäre ja der Zweck eines flachgehenden Schiffes mit der Möglichkeit zum Trockenfallen verfehlt. Die Holzstange am oberen Ende des Ruderblattes heißt übrigens Pinne. Die Länge der Pinne ist so konstruiert, dass sich eine Hebelkraft um den Drehpunkt von 2:1 ergibt, sich die Lenkkräfte damit halbieren.

Warum läßt sich nun mit dem kleinen Ruderblatt das Schiff relativ leicht steuern? Hierbei spielen zwei physikalische Gesetze zusammen. Die Vorderräder eines Autos ohne Servolenkung im Stand zu drehen ist relativ schwer, aber auch ziemlich nutzlos. Je höher die Geschwindigkeit, desto einfacher wird der Lenkvorgang. Dieses Phänomen – je höher die Fließgeschwindigkeit, dsto niedriger der statische Druck – wird als das “Bernoullische Gesetz” bezeichnet. Obgleich für einen Außenstehenden es so aussieht, der Drehkreis eines Schiffes ist kein Kreis, sondern ähnelt mehr einer Ellipse. Der Schwerpunkt einer Tjalk, um den sich das Schiff dreht, liegt sehr weit vorne. Ist das Schiff erst einmal in einer Drehbewegung erhöht sich alleine durch den Antrieb die Drift, es dreht ohne dazu tun immer schneller und enger. Zusammenfassend: die Pinne als verlängerter Hebelarm reduziert den Kraftaufwand, je höher die am Ruderblatt anliegende Strömung, desto geringer der Kraftaufwan und die Drift erledigt den Rest.

Noch ein putziges Phänomen. Das Schiff hat ein freihängendes Ruderblatt, das sich fast auf 90° zur Schiffsmittellinie drehen lässt (üblicherweise reichen 10° für eine Drehbewegung des Schiffes vollkommen aus). Bei starkem Einschlag des Ruderblattes und einem dosierten Schraubeneffekt läßt sich das Schiff im Vorwärtsgang rückwärts fahren. Auf Laien wirkt es faszinierend, wenn Pattbodenschiffe ohne Ruderbewegung, also nur mittels dem Vorwärts- und Rückwärtsgang in engen Stellen manövrieren.

Nach dem 2. Weltkrieg wurden viele Tjalken motorisiert und mit einem Steuerrad ausgestattet. Die Konstruktion ist seit Jahrhunderten bekannt und im Einsatz. Über Flaschenzüge, den sogenannten Taljen, konnte eine viel höhere Übersetzung und damit Hebelkraft auf das Ruderblatt generiert werden. Aus historischer Sicht wurde diese Konstruktion bei Tjalken nicht gebaut.

Auf der Pinne saß als eine Art optischer Abschluss des Ruderblattes eine Verzierung – die Niederländer nennen dies den Roerklik. Nebenbei, mir fehlt immer noch die passende deutsche Übersetzung. Dieser Roerklik wurde von dem Eigentümer des Schiffes individuell verziert oder mit Schnitzereien versehen. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich dabei Formen und Verzierungen herauskristallisiert, die für Regionen typisch waren. Ein beliebtes Motiv war und ist das stilisierte Füllhorn, das eine reiche Ernte, wie Trauben, Getreide ausschüttet. Die in der heutigen Zeit auf der Pinne montierten Messiggriffe sind der Praktikabilität geschuldet. Viele Pinnen verfügen über hölzerne Griffe und/oder geschnitzte Endstücke.