Seitenschwert

Was ist das denn? Eine Frage, meist von der Kaimauer, doch wenig “beliebt” bei den so angesprochenen Crewmitgliedern. Die Antwort könnte von einfach bis sehr kompliziert ausfallen oder von praktischer oder theoretischer Natur sein. Jetzt mal die einfache Version einer Antwort. Wie ein Luftballon oder eine Luftmatratze auf dem Wasser den Naturgewalten Wind, Strömung, Wellen ausgesetzt treibt, würde dies auch ein Plattbodenschiff machen. Es schlingert und treibt in irgendeine Richtung, auf keinen Fall geradeaus und überhaupt nicht in die gewünschte Richtung. Das herabgelassene Seitenschwert fungiert wie ein Leitblech, daß das Schiff auf einer Art Schiene halten soll.

Bauweise und Formgebung

Die Bauweise ist relativ einfach. Holzbretter werden zusammengeklebt und zur Verstärkung zusätzlich mit Holzdübeln, Königsleisten oder Gewindestange versehen. Umlaufend dann noch ein Bandeisen und die Aufhängung, sei es mit einer Bohrung oder einem Augbolzen, fertig ist das Seitenschwert. Andererseits wiegt ein Seitenschwert für eine Tjalk so 300kg und das Hantieren mit 8cm starken Eichenbohlen gestaltet sich dann doch nicht so leicht.

Bei der Anordnung der Bohlen gibt es zwei Erscheinungsformen. Zum einen wurden die Bohlen strahlenförmig angeordnet, vergleichbar mit den Stücken einer Torte. Oder es wurde ein horizontales Brett gelegt und die übrigen diagonal verlaufend angebunden. Historisch konnte man früher diese Bauweisen Regionen zuordnen, die strahlenförmige dem friesländischen Teil und die anderen dem südlichen Teil der Niederlande. In der heutigen Zeit verwischen die Grenzen.

Rund, länglich, tropfenförmig … der aufmerksame Betrachter entdeckt viele Formen. Die Unterschiede lassen sich leicht begründen. Schlechte Segler, also die mit einer kurzen Wasserlinie brauchen sehr viel Fläche zur Reduzierung der Abdrift. Schnelle Segler oder die, die mit einer Krängung segeln können, lange und damit tiefgehende. Tjalken – meist mit fast 20m Wasserlinie – sind sehr stäbige Segler, die Seitenschwerter sind tropfenförmig. Größe und Positionierung am Schiffsrumpf sind durch das Gewicht und der Handhabbarkeit vorgegeben.

Detail Aufhängung

Historisch wurden die Seitenschwerter mit einer Öse oder einem Augbolzen an einen an der Bordwand befindlichen Haken aufgehängt. Diese lockere aufhängung ließ dem Seitenschwert eine dreidimensionales Spiel. Nachteilig war halt, daß diese lose Befestigungskonstruktion oft zum schmerzlichen und letztendlich auch teuren Verlust von Seitenschwerter führte. Eine neuere Konstruktion ist die Aufhängung an einem an der Bordwand befindlichen Dorn, der durch den Kopf des Seitenschwertes geführt wird und dann mit einem Splint gesichert. Die Bewegungsfreiheit ist nur noch eindimensional und das Verlustrisiko geringer. Nachteilig ist jetzt – sollte das Seitenschwert doch abgedreht werden, z.B. durch Wellengang, Drehung des Schiffes oder Grundberührung einen Totalverlust der Aufhängung, meist mit Teilen der Bordwand, nach sich zieht.

Detail Profilierung

Die Seitenschwerter sind profiliert, mal nur einseitig an der Innenseite (zur Bordwand gerichtet), mal beidseitig, wobei die Außenseite dann konkav ist. Hierdurch erhöht sich der Unterdruck, so daß das Schiff nach Luv gezogen wird.

Detail Leitholz

Ziemlich kurz unter der Wasseroberfläche befindet sich ein horizonal montiertes Leitholz. Das Seitenschwert gleitet anstatt an der Bordwand über dieses Leitholz ins Wasser. Ferner ist das Holz im spitzen Winkel zur Bordwand montiert, wobei der Winkel zwischen 4° bis 6° betragen sollte. Das herabgelassene Seitenschwert liegt nunmehr nicht parallel zu Schiffsmittellinie, sondern um rund 5° verschoben.

Detail Stahlverstärkung

Typischerweise sind die Hölzer zum Schutz gegen Beschädigung und zur Stabilisierung mit einem halbrund-Eisen eingefaßt. Das Seitenschwert fällt zwar meist durch die Fallgeschwindigkeit und dem fehlenden Auftrieb in die Senkrechte, schwimmt aber danach wieder auf. Bei Manövern sieht man gelegentlich Crewmitglieder auf das Seitenschwert springen, um genau dieses Wiederaufschwimmen zu verhindern. Bei neueren Konstruktionen sieht man auch am äußeren und unteren Ende zusätzlich Stahl- oder Bleieinfassungen zur Erhöhung des Gewichtes.

Genug zur Theorie, der absolut grauen Theorie. Ja, dank neuer Meßverfahren und computergestützter Simulationssoftware entwickelt sich die Strömungslehre rasant. Beispielhaft seien hier die Hightechracer mit ihren Foils erwähnt. Die Entwicklung schreitet auch dank extrem haltbarer Materialien unaufhörlich weiter. Und die Praxis? In der Strömungslehre treffen einige physikalische Gesetze ineinander. Nicht nur das, hinzu kommt, daß alle Einflüsse dynamisch sind, die Modellrechnungen müssen also alle Variablen, wie Geschwindigkeit, Wellengang, Anströmung, Windrichtung etc. berücksichtigen. Eine Tjalk fährt in engen Fahrwassern, wie Kanälen, Seen und dem Wattenmeer, und dies mit Geschwindigkeiten von 3 – 6 Knoten. Die Formgebung eines Seitenschwertes spielt unter diesen Umständen nur eine untergeordnete Rolle. Ach ja, nicht zu vergessen ist der Faktor “Mensch”. Wer möchte schon als Crewmitglied ständig die Einstellung des Seitenschwertes überwachen und im Minutentakt neu den Gegebenheiten anpassen?

Funktionen

Es gibt noch zwei selten praktizierte Funktionsweisen der Seitenschwerter. Selten deshalb, weil bitte diese nur von erfahrenen und ortskundigen Steuerleuten angewendet werden sollten – der Schaden wäre sonst ungleich höher. Somit nicht zur Nachahmung empfohlen.

Vor Brücken und Schleusen kommt des häufig zu längeren Wartezeiten. Da passende Anleger oft fehlen oder belegt sind, eine Ankermanöver sich zeitlich nicht lohnt, fährt man mit der Bugspitze bei herabgelassenen Seitenschwerter ins (Ufer-) Gebüsch: “friesisch ankern” heißt dies im Fachjargon.

Kurz vor dem Trockenfallen im Wattenmeer stellt sich die Frage, ob der Untergrund eben ist. Hier werden die Seitenschwerter herabgelassen und der Steuermann kann an den Bewegungen (Grundberührung, Ablenkung durch Strömung, weiches oder hartes Aufsetzen) Rückschlüsse auf die Bodenbeschaffenheit machen.